Welcome to Poland
Sowie die Glühwürmchen im „Feenwald“ bei Neustrelitz die Lichter ausmachen, heisst es für uns wieder aufstehen und weiterfahren. Polen wartete auf uns.
Wir sind positiv aufgeregt auf dieses Land. Keiner von uns war schon Mal in Polen. Wir kennen es nur aus Erzählungen, Zeitungsberichten oder den Nachrichten. Und, wie so häufig, entstehen so, sehr viele Vorurteile. In Polen hiess es, da musst du aufpassen. Da wird geklaut, was das Zeug hält. Polen sei gefährlich. Wenn ihr von Deutschland nach Polen fahrt, dann bekommt ihr einen Kulturschock. Die Strassen seien dann total alt und unbrauchbar. Und so weiter. Mit entsprechendem Respekt, aber mit viel Offenheit und Freude im Gepäck fahren wir nach Polen. Und, das Erste, was uns auffällt: Die Strassen sind 1A. Perfekt. Wir würden jetzt mal stinkfrech behaupten, die Strassen in Polen sind teilweise sogar besser als bei uns zu Hause. Das erste Vorurteil können wir somit keinesfalls bestätigen. Da Jessi bald Geburtstag hat, ist es ihr Wunsch, diesen an einem Strand zu verbringen, um ein bisschen Sommerferienfeeling zu haben. Zuerst wollten wir nach Wolin, da wir jedoch in Kroatien bereits einen fixen Termin mit Freunden vereinbart haben, entscheiden wir uns, direkt nach Leba zu fahren.
Die erste Nacht in Polen
Der Weg von den Glühwürmchen bis nach Leba zieht sich dann doch etwas in die Länge. Weshalb wir unsere erste Nacht in Polen auf einer Autobahnraststätte verbringen. So, nun ist es also so weit. Die erste Nacht in Polen. Und dann erst noch auf einer Autobahnraststätte. Da schwirren einem gleich die ersten Horrorgeschichten im Kopf herum. Die LKWs stehen alle nebeneinander parkiert für die Nacht. Die Chauffeure müssen ja auch schlafen. Wir stellen uns dann mit unserem Jumbo ganz an den Rand mit einem kleinen Abstand. Hin und wieder gesellt sich noch ein Lastwagen dazu.
Diese polnische-Autobahnraststättennacht ist für Jessi weniger erholsam gewesen, wie für Roger. Roger hat das Glück, dass er immer und überall schlafen kann. Jessi nicht. Sie ist die Wachsame. Diejenige, die alles hört und mitbekommt. Naja, jedes Auto braucht ein Sicherheitssystem. Unseres heisst eben Jessi. Sehr empfehlenswert. Funktioniert wunderbar. Leider aber unverkäuflich.
Morgens um halb 5 Uhr, ist es schon wieder hell. Wir befinden uns eben noch im Norden. Als dann um etwa 8 Uhr Mamacita den Morgenbisi ankündigt, muss Jessi ganz allein raus. All Ihren Mut schaufelt sie zusammen und öffnet die Tür. Schnuppert das erste Mal polnische Autobahnraststätten-Luft und merkt, dass alles in Ordnung ist. Sie spaziert mit Mamacita zu den Wiesen, und wieder zurück. Die Raststätte scheint neu zu sein. Ein schön angelegter Rasen und einige Picknicktische mit einem Pavillon sind zu sehen. Ein sauberes WC. Und ganz freundliche Leute, die dort einen Zwischenstopp einlegen und mit der ganzen Familie Frühstücken. Jessi nimmt sich dann die Zeit und setzt sich auch an einen Tisch und geniesst die Morgensonne. Und auch die LKWs sind bei Tag nicht mehr so furchteinflössend wie in der Nacht. Die erste Nacht auf der polnischen Autobahnraststätte haben wir gut überstanden und mit dem Sonnenaufgang sind auch die Ängste verflogen. Jetzt können wir entspannt weiter nach Leba fahren.
Strandferien in Leba
Leba ist ein Ferienort. Viele Stände mit Schmuck, Postkarten und Souveniershops zieren die Strassen. Etliche Campingplätze reihen sich aneinander. Im Dorf ist Rambazamba angesagt mit Technomusik, ja sogar der gute alte DJ Antoine mit St. Tropez hauen sie aus den Boxen.
In Leba wird aktuell massiv gebaut. So auch unser Campingplatz, bei welchem wir vor lauter Baustelle erst den Eingang finden müssen. Der Campingplatz welches auch ein Surfcamp beinhaltet, zeigt sich als junges Unternehmen mit einem stylischen Logo. Als Reception dienen zwei aufeinander gestapelte Schiffscontainer. Im Unteren befindet sich ein kleiner Shop und im Oberen die Reception. Empfangen werden wir durch einen Dude, welcher gerade eine etwas jüngere Angestellte ausbildet. Sie checkt uns ein und weist uns auch direkt einen für Jumbos grösse geeigneten Platz zu. Sie tut dies stets unter den wachsamen Augen ihres Ausbildners. Nachdem die Formalitäten geregelt sind, gehen wir die Treppe hinunter. Die junge Auszubildende erstarrt vor Jumbo als sie Ihn erblickt und schreit mit ihrem gebrochenen Englisch: „Oh my god, THIS IST HUGE!!“
Roger kann es sich nicht verkneifen: „That‘s what SHE said.“ Der Ausbilder lacht lauthals hinaus. Schmunzelnd gehen wir allesamt mit Jumbo im Schritttempo zum zugewiesenen Platz.
Das Leben in Leba
Insgesamt wollen wir drei Nächte in Leba bleiben. Jessi hat ihren Geburtstagsstrand. Mamacita kann ihre Pfoten ins Meer tunken und Roger schaut, dass er keinen Sonnenbrand bekommt. Wir geniessen die Zeit, auch als der Himmel von einer Minute zur Anderen schwarz wird und ein Sturm mit sinnflutartigen Regenfällen und Hagelkörner in der Grösse von Tennisbällen vom Himmel herunterdonnern. Bevor wir jedoch weiterziehen, führen wir unsere Minigolf-European-Championship weiter.
Das Endresultat lautet wie immer: Roger gewinnt, Jessi verliert. Es steht nun mittlerweile 4:1 für Roger.
Prostituierte oder Beerenverkäuferin?
Unser Weg von Leba nach Wroclaw führt uns über neue Autobahnabschnitte und gut ausgebaute Landstrassen in Richtung Süden. Wir passieren endlosen Getreidefelder, fahren vorbei an Fabriken und riesigen Industriegebieten. Die Polen sind en beschäftigtes Volk. Nicht verwunderlich das Polen, per Ende 2022, auf der „Liste aller Länder nach Bruttoinlandprodukt“ (=BIP) weltweit auf Platz 23 steht. Hier wird also gehandelt, was das Zeug hält.
So sind wir auch nicht über die unzähligen Frauen verwundert, die in den Wäldern am Strassenrand sitzen und volle Gläser mit selbst gesammelten Beeren verkaufen.
Je nach Gebiet, das wir auf unserer Route in den Süden durchqueren, sind die Frauen irgendwie aufreizender gekleidet und auch fehlen plötzlich die Beerengläser. Moment mal. „Die verkaufen andere Beeren!“, scherzt Roger.
Auch Dinge aus dem ältesten Gewerbe können hier also erworben werden.
Die Wälder werden länger und so verdichten sich auch die Beeren- und „Beeren“-Verkäuferinnen. Mal mit Pullover und Jacke, mal mit bauchfreiem Top. Wir sehen sogar einmal eine aufreizend gekleidete Dame mit regulären Beerengläsern auf einem Stein sitzen.
Dies veranlasst uns dann auch zu einem kleinen Spiel für eine kurzweilige Fahrt. Wir raten ob hinter der nächsten Kurve eine Prostituierte oder eine Beerenverkäuferin auf uns wartet. Leider aber kommt da schon direkt die nächste Autobahnauffahrt und es wird nichts mit unserem Spiel.
Nächstes Ziel: Wroclaw
Unser nächstes grosses Ziel ist Wroclaw. Dort wollen wir unserem Jumbo ein Wellnessprogramm spendieren. Vielleicht mögt ihr euch noch daran erinnern, dass wir zum ersten Mal in Frankreich mit unserer Kupplung Probleme hatten (siehe Blogeintrag “Savoir-vivre in Frankreich Teil 2”), dann in Schottland wieder und nun in Polen erneut. In Wroclaw gibt es eine offizielle MAN-Truck-Werkstatt. Wir suchen uns also einen Spot aus, der in der Nähe der Werkstatt ist, dennoch aber etwas ausserhalb. Es wird ein Parkplatz vor einem schön angelegten Park. Es gibt sogar einen Parkwächter. Der Platz ist bis auf ein paar Stellen beleuchtet. Tagsüber sind etliche Autos mit Besuchern vor Ort. Nachts leert sich der Platz und es wird ruhig. Glücklicherweise fährt vor uns noch ein andere Campingwagen dorthin, ansonsten hätten wir den Platz vermutlich gar nicht erst gefunden, da die Anfahrt so verwinkelt ist. Wir machen also genau dasselbe wie unser Vorfahrer. Er fährt durch die Schranke, wir auch. Er fragt den Parkwächter, wir auch. Er fährt durch die zweite Schranke, wir auch. Er parkiert rechts, wir links. Ganz im Copy-Paste-Stil.
Ein Parkwächter mit Herzblut
Am nächsten Morgen, gerade als wir zur MAN-Garage los wollen, treffen wir auf den Parkwächter Roman. Er kommt zu uns und meint, er habe die Schicht vom Nachtwächter jetzt übernommen und habe grausam Freude an unserem Jumbo. Er habe das Fahrzeug gesehen und wollte uns unbedingt kennenlernen. „Herzlich Willkommen in Polen“, sagt er mehrfach.
Weiter erzählt er uns, dass er am Mittag Zeit habe und uns gerne zu sich nach Hause einladen würde. Seine Frau würde uns etwas Kochen.
Wir sind überwältigt von seiner Gastfreundschaft, müssen ihm aber schweren Herzens absagen, da wir ja einen Termin in der Garage haben. Er verstand, wollte aber unbedingt ein Abschiedsfoto mit uns und seinem Kollegen machen. Gerne haben wir mit ihm dann das Foto gemacht. Jetzt müssen wir aber dringend los…
Mumbo Jumbos Wellnessprogramm
Die Reparaturarbeiten an Jumbo kommen gut voran. Nebst einem grossen Service sollte Jumbo auch noch diverse neue „Hardware“ wie zum Beispiel die Spurstange bekommen. Leider ist der neue Geberzylinder der Kupplung, welchen Sie auf unser Drängen hin noch bestellen mussten, an diesem Tag nicht mehr verfügbar. Deshalb heisst es für uns, wieder zurück zum schönen Park.
Scharmützel im Gebüsch
Zurück im Park entscheiden wir uns für dieselbe Ecke, einfach ein wenig weiter hinten, so dass wir die Strassenlampe nicht vor dem Schlafzimmerfenster haben.
„Roger, essen!”, ruft Jessi und gleichzeitig klopft es laut an der Tür. Jessica schreit sich ihre gesamten Eingeweide aus dem Hals heraus. Sie ist so dermassen erschrocken.
Es ist Roman, der vor dem Wohnzimmerfenster herumjuckst und winkt. Er bittet Roger auszusteigen und vor Jumbo zu kommen. Leise und geheimnisvoll flüstert er: „Ich habe jetzt gerade meine Nachtschicht angetreten. Per Zufall habe ich gesehen, dass es hinter eurem Fahrzeug auf einer Bank zwielichtige Leute hat. Manchmal ist die Gegend hier nicht so sicher. Stellt euer Fahrzeug doch drei Meter weiter nach vorne. Am besten auf den Ebenen Platz, dann sehe ich euch aus dem Wärterhaus und ihr seid auf der Überwachungskamera.“ Wir sind Roman für den Hinweis und seine wachsamen Augen sehr dankbar.
Und tatsächlich. Als wir die Fenster Rollos anheben und den Motor starten, sehen wir drei Personen, welche hinter Jumbo zwischen Baum und Wiese hin und her schleichen.
Schon erstaunlich, wie viel mehr Sicherheit nur ein paar Meter ausmachen können.
Wir verbringen eine ruhige und sichere Nacht vor der Überwachungskamera des Parks und fühlen uns in keinem Moment einer Gefahr ausgesetzt.
Bye, bye Roman
Am nächsten Morgen heisst es dann endgültig auf Wiedersehen zu sagen.
Wir schenken ihm auf seinen ‚Feierabend‘ morgens um 7 Uhr hin noch ein Bier und begeben uns abermals in Mumbo Jumbos Wellnesstempel, die Garage. Die Arbeiten dort ziehen sich bis in den Abend hinein. Es kann aber alles erledigt werden und wir sind happy.
Mit frisch gepumpten Reifen und einem durch und durch erholten Mumbo Jumbo machen wir uns auf den Weg nach Wroclaw City.